Er ist pummelig, hat Probleme beim Start und bei der Landung und lebt ausgerechnet in einem der ungemütlichsten Länder der Welt. Tatsächlich hätte der Papageitaucher aber gar keine bessere Heimat finden können als Island ...
Nur mal angenommen, Vögel würden Immobilienanzeigen aufgeben. Dann würde der Papageitaucher wohl Folgendes formulieren: „Suche eine Insel in übersichtlicher Größe mit steilen Felsen, die an fischreiche Gewässern angrenzen, dabei gleichzeitig von ausreichend nachgiebigem Erdreich geprägt sind, zwecks Höhlenbau. Das Klima darf gern kalt und windig sein. Optimal wären freundliche Nachbarn, die bei Bedarf bereit sind, uns kleinen, eher unbeholfenen Vögeln Starthilfe zu geben.“ Tatsache ist: Papageitaucher geben keine Immobilienanzeige auf. Und das müssen sie auch gar nicht. Denn die Insel, auf der sie leben, hat alles, was Fratercula arctica zum Leben braucht. Willkommen auf Island. Hier, auf der Insel am oberen Ende unserer Wetterkarte, prallt alles zusammen, was eigentlich gar nicht zusammengehört: feurige Vulkane auf eisige Gletscher. Heiße Thermalwasserbecken auf Polartemperaturen. Die Eurasische auf die Nordamerikanische Kontinentalplatte. Und ein Vogel vom Format einer Limodose auf Winde von Orkanstärke. Gerade in diesem Moment versucht schon wieder einer abzuheben. „Jetzt wird’s interessant“, murmelt Einar Grimásson und blickt durch seinen Feldstecher. In Keflavik im Südwesten der Insel ist man Starts und Landungen eigentlich gewöhnt, liegt hier doch schließlich Islands größter Flughafen. Doch ein Puffin, wie Papageitaucher auch liebevoll genannt werden, der gegen 150 km/h schnellen Wind anrennt, ist noch einmal ein ganz besonderes Schauspiel. „So einfach aus dem Stand können die Vögel nicht abheben“, erklärt der HobbyVogelkundler und grinst, „Häufig gehen unsere Kinder raus und werfen die Vögel in die Luft. Das ist besser als Drachen steigen zu lassen.“ Doch jetzt gerade sitzen die Kinder von Keflavik in der Schule, der Papageitaucher muss sehen, wie er allein klarkommt – und erklimmt jetzt auf seinen kleinen Entenfüßen angestrengt einen Felsvorsprung. Denn wenn der Vogel nicht aus eigener Flügelkraft abheben kann, braucht er einen geeigneten, möglichst steilen Absprungplatz. Und davon gibt es auf Island bekanntlich genug. Das mit 17 Millionen Jahren relativ junge Eiland (Europa ist etwa zwei Milliarden Jahre alt) wird von gewaltigen Kräften aus dem Erdinneren permanent verändert, wächst in die Höhe (Es gibt allein 100 Berge, die mehr als 1000 Meter hoch sind) und in die Breite (jedes Jahr wird die größte Vulkaninsel der Welt zwei Zentimeter breiter). Nein, Island ist beileibe keine Insel, die es der Natur leicht macht. 130 aktive Vulkane legen regelmäßig dicke Ascheteppiche aufs Land. Ständige Polarstürme halten die Vegetation nah am Boden. Er kommt also nicht von ungefähr, der Satz: „Falls du dich jemals in einem isländischen Wald verläufst: steh auf.“ Das wissen die knapp 320000 Isländer. Und irgendwie weiß das sicher auch unser Puffin, der sich nun auf den Start vorbereitet: einmal konzentrieren, den Kopf in die Höhe strecken, Anlauf nehmen, springen – na, nennen wir es besser fallen – und kolibrimäßig mit den Flügeln schlagen. Sieben Schläge muss der Papageitaucher pro Sekunde schaffen, alles darunter bedeutet den Absturz. Die gefiederten Pummel – ein Papageitaucher wiegt bei höchstens 30 Zentimetern Körpergröße 500 Gramm – verfügen nicht mal über die vogelüblichen hohlen Knochen, ihr Skelett ist fast massiv. Doch was beim Start, und übrigens auch bei der Landung, halsbrecherisch aussieht, wirkt in der Luft geradezu grazil. Während zum Beispiel die Möwe verzweifelt versucht, gegen den Wind anzukämpfen, nutzt der Puffin trotz seiner kleinen Flügel die Lufströmungen optimal, segelt wendig auf und ab, nach rechts und nach links und beobachtet dabei seelenruhig das Geschehen um sich herum. Und denkt sich in diesem Moment vielleicht: „Hier bin ich genau richtig, dies ist mein Land!“ (Astrid Kessler)
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